Immer wieder liest der informierte Zeitgenosse über die Argumente der sog. „Content-Industrie“ und nachgelagert auch der schwerpunktmäßig auf dem konservativen Lager stammenden Gesetzesgeber und -hüter. Eine der viel gedroschenen Phrasen ist dabei die vom „rechtsfreien Raum Internet“, das eben jenes keinesfalls sein dürfe.
Jeder vernünftige Mensch würde dem nun ohne weiteres zustimmen, wenn er ansatzweise daran interessiert ist, dass unsere Gesellschaft nicht durch geldgierige Abo-Fallen-Gauner und zerstörungswütige Cyber-Terroristen zersetzt wird.
(Natürlich könnte man nun auch fragen, was denn da überhaupt vor Zersetzung zu schützen wäre und ob uns der ganze Aufwand das wert sei. Aber darum soll es nun nicht gehen.)
Es geht eher um die Tatsache, dass es überhaupt nicht zur Diskussion steht, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist. Das lässt sich an allerhand Indizien und Fällen festmachen, in denen in verschiedenen Ländern geltende Gesetze auf Sachverhalte und Straftaten im Internet erfolgreich und auch zurecht angewandt wurden. Des Weiteren ist es auch daran zu erkennen, dass die Strafverfolgungsbehörden immer öffentlicher und direkter im Internet fahnden und forschen. Wäre das Internet ein „rechtsfreier Raum“ dürften diese das nämlich garnicht, da sie ja nun per Definition für die Einhaltung und gegen die Übertretung von Gesetzen in einem abgesteckten Rechtsraum handeln sollen.
So gelten für jeden Nutzer und insbesondere auch für jeden Anbieter von Inhalten, die jeweiligen Gesetze seines Landes. Auch wenn es in manchen Details schwierig sein mag deren Gültigkeit festzustellen. Da sich nun freilich das Internet nicht an Staatsgrenzen hält und es mir als Nutzer ohne weiteres möglich ist auf Inhalte eines Anbieters in einem anderen Rechtsraum, für den ggf. andere Gesetze gelten, zuzugreifen, dient dieser Zustand ein paar bestimmten Zeitgenossen als Aufhänger für ein angebliches Problem.
Das Internet jedoch ist ein Netzwerk, das basierend auf Protokollen Daten durch Leitungen transportiert – also kurz gesagt ein Medium. Es ist also kein Rechtsraum jedweder Form. Ja es ist noch nicht einmal „real“, also physisch vorhanden, sondern, wie wir alle wissen, nur virtuell. Der virtuelle Raum entsteht dort, wo sich die verschiedenen Inhaltsanbieter und -Konsumenten treffen. Der Inhalt selbst jedoch wird, ohne Frage, in einem bestimmten Rechtsraum 1. geschaffen (geurhoben?), 2. aufbereitet bzw. zur Verfügung gestellt und 3. konsumiert, auch wenn aus einer bestimmten Persprektive durch verschiedene Rechtsräume transportiert wird.
Rechtssysteme kennen meines Wissens nach nun verschiedene Abstufungen, bei denen der Hersteller, der Bereitsteller und/oder der Konsument von bestimmten Inhalten (oder auch Waren) zivil- oder strafrechtlich dafür verantwortlich ist. Und genau so wird es auch „im Internet“ gehandhabt. Je nach Sachverhalt, muss mindestens eine der drei Parteien für den Inhalt (oder die Ware) geradestehen.
Dass es nun Gauner, Verbrecher, Betrüger, Terroristen oder auch ganz normale Menschen gibt, die sich durch den Trick der Auslagerung in einen gegenüber einer bestimmten Sache weniger restriktiven Rechtsraum begeben, wie es z.B. beim „Offshore-Investment“ oder der „Steuerflucht“ geschieht, ändert nichts an der Tatsache, dass Gesetze im Herkunftsraum gelten und durchgesetzt werden.
Hinter der Betonung des angeblichen „rechtsfreien Raums Internet“ steckt aber nun eine ganz andere Sache, mal abgesehen davon, dass das Internet eben kein Raum, sondern ein Medium ist. Meist ist darin die Forderung verschleiert, man müsse das Urheberrecht auch dort durchsetzen. Wobei sich auch hier die Frage stellt, warum das angeblich nicht so sein sollte oder nicht soweiso gängige Praxis wäre.
Man kann sich hier schon ausmalen, dass diese Forderung nicht von einzelnen Künstlern, Kreativen und anderen Urhebenden stammt, die das Medium Internet mittlerweile durchaus als Darstellungs- und Ausdrucksform zu schätzen gelernt haben (und auch oft genug ihr Auskommen damit haben), sondern von jene, die im industriellen Maßstab Leute damit beauftragen Inhalte zu schaffen oder eben jenen, die es sich auf die Fahnen geschrieben haben die Rechte der Urheber zu vertreten, welche diese Urheber mehr oder weniger freiwillig in deren Hände gelegt haben.
Es ist im Übrigen auch hier nicht so, dass diese landläufig als „Content-Industrie“ bezeichneten, nicht auch mit dem angeblich so „rechtsfreien Raum Internet“ ihr mehr als gutes Auskommen hätten, das sie, wie auch in anderen Medien üblich, wenn schon nicht durch den direkten Verkauf bzw. die Lizenzierung des Nutzungsrechtes an den Konsumenten, dann aber doch durch Werbeeinnahmen „erwirtschaften“.
Nun hat aber unser kapitalistisches System die Komponente der „sozialen Marktwirtschaft“ längst vergessen und kann den Hals nicht voll genug kriegen. Das betrifft hier natürlich auch die „Content-Industrie“, die sich zuerst konsequent weigerte den Wandel der Medien wahr- und anzunehmen, angeblich aus Angst vor Marktkanibalisierung, und sich anschließen wunderte, warum die Absätze bzw. Einnahmen in den „alten Medien“ und bisherigen Vertriebskanälen einbrachen.
Die Schuld dafür versucht man seitdem Leuten in die Schuhe zu schieben, die einfach flexibler, offener und erfindungsreicher waren und Dinge möglich machten, die man als ungebührlich gegenüber den alteingesessenen Autoritäten empfindet. Das traf zuerst die Ratgeber(veröffentlichungs)branche, dann die Musik(veröffentlichungs)branche, dann die Zeitungs- und Nachrichten(veröffentlichungs)branche, dann die Buch(veröffentlichungs)branche und mittlerweile solche „Exoten“, wie Taxizentralen. Und stets wurde dabei das Lied vom Untergang der Kultur und des Verlusts von Arbeitsplätzen gesungen, oder wie die sonstigen Codewörter für „mein Geldbeutel“ auch lauten mögen.
Mittlerweile sind wir sogar schon in der nächsten Stufe angelangt, auf der „alteingesessene Internetdienstleister“ die sich zuerst konsequent weigern den Wandel der Medien wahr- und anzunehmen, angeblich aus Angst vor Marktkanibalisierung, und sich anschließen wundern, warum die Absätze bzw. Einnahmen in den „neuen Medien“ und bisherigen Vertriebskanälen einbrechen. Wieder schiebt man die Schuld dafür Leute in die Schuhe, die flexibler, offener und erfindungsreicher sind und singt das Lied vom Untergang der Kultur und des Verlusts von Arbeitsplätzen, oder wie die sonstigen Codewörter für „meine Bitcoins“ lauten mögen.
Man erkennt in dieser Farce eine derartige Unflexibilität und Rückwärtsgewandtheit, dass sich einem der Magen umdreht.
Diese „leidtragenden Modernisierungsblinden“ jedoch sind dennoch keinesfalls gewillt die Flinte ins Korn zu werfen oder gar sich anzupassen. Nein! Sie zetteln lieber, mithilfe von Dienstleistern, Organisationen und staatlichen Institution, die allesamt das Wort „Repression“ quasi im Namen tragen, einen Krieg an, der es zum Ziel hat das Medium auf voller Breite zu überwachen und zu zensieren. Dieser teure „War on Copyright“ schmälert natürlich weiter den Gewinn und kann deshalb den Sündenböcken angelastet werden, die hier anscheinend bewusst die Wirtschaft des Landes schädigen und – die Kultur zersetzen.
Der Krieg wird bei weitem nicht auf offenem Felde ausgetragen, sondern mit allen schmutzigen Mitteln von Geheimniskrämerei, Bestechung, Spionage, „False Flag“-Operationen und natürlich haarsträubender Propaganda, für die jeweils eigene Ministerien und Geheimdienste eingerichtet werden.
Da werden „Raubkopierer“ zu „Verbrechern“ gemacht, obwohl Raub eigentlich der „Gewaltanwendung“ bedarf und Urheberrechtsverletzung keine „Verbrechen“, sondern nach §12 StGB ein „Vergehen“ ist, da dies meines Wissens nicht mit einer Mindeststrafe von einem Jahr belegt ist. Auch dass Papa von seinem Nachwuchs nur durch Gitterstäbe zum Geburtstag beglückwünscht werden kann, wenn er einen Porno Film aus dem Internet heruntergeladen hat, ist schlichtweg falsch, denn mit Freiheitsstrafe ist bei solchen Vergehen meist nur zu rechnen, wenn sie „gewerbsmäßig“ betrieben wird. (Behaupten zumindest meine Quellen. „Bitte beachten Sie unseren Haftungsausschluss für Inhalte zu Rechtsthemen.“) Leute, die durch offene Scheunentore treten und sich an dem was sie da vorfinden belustigen sind nicht nur, was vielleicht je nach Situation geboten wäre, „Hausfriedensbrecher“, „Einbrecher“ oder „Diebe“ sondern immer gleich „Aktivisten“ oder „Terroristen“, was synonymisierend verwendet wird. Nicht zuletzt befleißigen sich Populisten im Sport des „sich zum Gespött“-machens, indem sie den Internetnutzern bester Kriegsrethorik ihre Niederlage verkünden und ihren Untergang prophezeien.
Seitdem sich im Norden aus der Mitte der angeblich kulturbedrohenden Urheberrechtspiraten eine Partei organisiert hat, die sich jene als Stigmatisierung gedachte Bezeichnung verhöhnend als Namen annimmt und als Phänomen durch ganz Europa geistert, indem sie mit ketzerischen Ansichten zu Freiheit, Transparenz und Demokratie Wahlen gewinnt, geht den Bewahrern der alten medialen Ordnung der Allerwerteste endgültig auf Grundeis und es werden die harten Bandagen ausgepackt.
Da wird eine Lobby nach der anderen bemüht, es werden hinter verschlossenen Türen, unter Vorgabe größter Geheimhaltung und mit beachtlicher Desinformation Gesetze geschrieben, Abkommen aufgesetzt und unterzeichnet und allerhand andere Repressalien vorbereitet, um das letzte, freie Medium Internet zu dem zu machen, was ein Medium gefälligst zu sein hat, nämlich in den Händen und unter Kontrolle derer, die damit umzugehen wissen, wie man aus Menschen hörige Schafe, willige Konsumenten, linientreue Staatsbürger oder verblendete Nimmersatte macht. Klingt dramatisch – ist aber so.
Es zeigt sich aber zum Glück, dass (wieder einmal) „ein kleines Dorf erbitterten Widerstand gegen den Einfall der Römer leistet“. Die Bewohner nennt man mittlerweile „Netzgemeinde“ oder gibt ihnen unhöflichere Namen, je nach Zu- oder Abneigung. Man bedenkt sie abwechseln mit einem jovialen Lächeln, purem Unverständnis oder direkten Verunglimpfungen und wundert sich dann doch (wieder), wenn sich zeigt, was sie für eine Durchschlagskraft in die „wirkliche Welt“ haben. Denn entgegen der landläufigen Meinung, ist die reale Welt nicht von der virtuellen Welt getrennt, sondern wird von dieser ergänzt und bereichert – kulturell, informativ, kreativ und insgesamt.
Diese Durchschlagskraft wird sich wieder am kommenden Samstag zeigen, wenn im ganzen europäischen Großraum, von Umeá (Schweden) bis Las Palmas (de Gran Canaria) und von Lissabon (Portugal) bis Tulcea (Rumänien) und Zypern gegen die diesmal als „Handelsabkommen“ getarnten Grundrechtseingriffs- und Zensurbestrebungen auf die Straße gehen. (Karte)
Zwar scheiden sich auch die Geister daran, ob ACTA nun tatsächlich so reichlich gefährliche Dinge enthalte oder nicht, aber ich meine, dass es eben gefährlich ist, weil das Abkommen eben keine konkreten Bestimmung, Richtlinien und Vorgaben enthält und es somit der „Interpretationsfähigkeit“ der Um- und Durchsetzer überlassen bleibt, welche Mittel sie auswählen.
Die Frage, die ich mir aber stelle: „Muss es denn wirklich sein, dass Europa jedesmal den Aufstand probt bzw. proben muss, um „Schaden vom Volke“ abzuwenden, obwohl dafür demokratisch legitimierte Vertreter zur Verfügung stehen (sollten)?“ Irgendwas läuft doch falsch, wenn sich diese Vertreter weder darum kümmern den „Schaden“ abzuwenden oder sich schlichtweg weigern diesen überhaupt wahrzunehmen. Der Sache wird die Krone aufgesetzt, wenn sich jene beginnen bewusst über „den Volkswillen“ hinwegzusetzen und dabei noch nicht einmal die Notwendigkeit sehen, so zu tun, als seien sie auf der Seite der Herde, die sie hüten.
Was uns spätestens bei der Bundestagswahl 2013 zur nächsten Stufe bringen wird, auf der „alteingesessene Parteien“, die sich zuerst konsequent weigern den Wandel der Zeiten wahr- und anzunehmen, angeblich aus Angst vor Wasauchimmer, und sich anschließen wundern, warum die Stimmen und Prozentzahlen in den Parlamenten und bisherigen Fraktionen einbrechen. Und man wird die Schuld wieder Leuten in die Schuhe schieben, die flexibler, offener und erfindungsreicher sind und wird das Lied vom Untergang der Kultur singen. Solange, bis sie endlich untergegangen ist.
Für Nachrichten und Informationen zu Netzkultur, -Politik und Zeitgeschehen kann ich folgende Quellen empfehlen:
Netzpolitik.org
Digitale Gesellschaft e.V.
gulli:News
Neuprech.org
und natürlich deren Kanäle auf Twitter.
UPDATE:
Bereits am Freitag Nachmittag meldet die dpa, dass Deutschland ebenfalls die Unterzeichnung des ACTA vorerst aussetzt. Folgerichtig gingen die Aufrufe zu den Stop-ACTA-Demonstrationen nun mit der Botschaft (sinngemäß) „Jetzt auf die EU Druck ausüben. Nur so werden wir ACTA endgültig los.“ durch die Kanäle.
Laut der Aktions-Seite stopacta-protest.info gingen nun am Samstag allein in Deutschland über 120.000 Bürgerinnen und Bürger auf die Straße. Überraschenderweise war die Hochburg nicht, wie üblich Berlin („nur“ 10.000 Teilnehmer), sondern München mit zwischen 16.000 (Angabe der Polizei) und 20.000 (Angabe der Veranstalter) Teilnehmern.
Aus Sicht der Bündnisse, die zu den Demonstrationen aufriefen, kann die Aktion wohl also als voller Erfolg gewertet werden.
Über die oben genannten Links sind viele Fotos und Videos zu finden. Ein Highlight unter den Protestschildern war z.B. „Ich bin so wütend, dass ich sogar Comic Sans verwende!“, in Bezug auf die Schriftart, die unter Internet- und Typographie-affinen häufig für Belustigung sorgt. Auch „Dieses Plakat ist in deinem Land nicht verfügbar!“, das der Meldung bei Sperren durch Verwertungsgesellschaften oder Musikverlagen auf der Videoplattform YouTube nachempfunden ist, beschreibt die Situation, die durch ACTA heraufbeschworen werden könnte, sehr treffend.
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